Wir freuen uns, mit „Die Blaue Stunde“ die erste Einzelausstellung von Katinka Bock in unserer Karlsruher Galerie präsentieren zu dürfen. Die Skulpturen und Installationen von Katinka Bock beschreiben Raum, indem sie ihn als Teil ihrer Materialität definieren. Ihre Arbeiten entstehen aus Begegnungen von konkreten und sich im Verlauf befindenden Situationen, die Bock in spezifische materiale und räumliche Verhältnisse übersetzt. Stein, Ton, Sand, Kreide oder Metall bestehen für sie ebenso als zu formende Substanz, wie als Form einer je eigenen Idee von Materie. Katinka Bocks Arbeiten durchbrechen Bezugssysteme und erlauben eine situative Narration, die vom einzelnen Objekt, aber auch aus der Bezugnahme zwischen den Arbeiten und der damit beschriebenen Raumstruktur hervor geht. Neben dem Einbezug der Elemente nutzt die Künstlerin bei der Umsetzung ihrer Arbeiten auch elementare Eigenschaften wie Anziehung, Abstoßung, das Ausdehnen oder Zusammenziehen von Masse, oder intendiert das Eingehen von Verbindungen, wobei das Zusammenwirken und die Verän¬derbarkeit von Skulptur und Raumgefüge oft eine von Reaktion geprägte Formfindung mit sich bringt.

Mit ihrer aktuellen Ausstellung in unserer Galerie richtet die Künstlerin den Blickpunkt auf Situationen des Übergangs. Die Bezeichnung „Blaue Stunde“ ist eine poetische Beschreibung für den Moment zwischen Sonnenuntergang und nächtlicher Dunkelheit, sowie jener Zeitspanne kurz vorm Sonnen-aufgang. Die „Blaue Stunde“ beschreibt eine eingegrenzte Dauer, einen Moment der Durchschreitung und gleichsam eine Schwelle, deren Substanz und Eigenschaft die Flüchtigkeit bestimmt. Bock knüpft mit ihren zum Teil vor Ort konzipierten und unseren Galerieraum einbeziehenden Arbeiten daran an.
Zustandsbeschreibungen wie Ähnlichkeit, Veränderung und Differenz skizzieren eine Idee, die sich in der Arbeit „Am Hang“ finden lässt: Zwei vor der Galerie angebrachte Schaukästen gleichen sich in ihrer Struktur, unterscheiden sich aber im Detail. Eine durch Bewegungsmelder gesteuerte Lichtquelle umreißt so den Moment des Passierens – jedoch nach „unlogischen“ Regeln, da sich Auslöser und Wirkung nicht erschließen –, während ein mit blauem Kreidestaub gefärbter Faden den leicht abfallenden Höhen-verlauf der Klauprechtstraße dokumentiert.

Katinka Bocks Arbeiten beschreiben Zustandsveränderungen, so auch in Hinsicht auf zwei im Windfang eingelassene Fußabtrittgitter, die sie entfernt und als Ausgangspunkt zweier Arbeiten genommen hat. Die Form des Gitters, wie auch jene, in welcher die Gitter im Treppenaufgang eingeschlossen waren, bilden Formen für zwei zweiteilige Keramikarbeiten. Zum einen hat die Künstlerin bei der Arbeit „Das Tal“ die durch die entfernten Gitter freigelegte Aussparung mit Ton gefüllt und mit Stoffen überdeckt, die während dem Aufbau der Ausstellung von allen ein- und austretenden Menschen durch ihre Fußabdrücke amorphe Spuren im Ton hinterlassen haben. Diese, wie auch eine während der Eröffnung ähnlich entstehende Tonplatte, wird in der Folge gebrannt und als Zeugnis einer subtilen, doch in ihrer Wiederkehr festgehaltenen Handlung bestehen. Die Gitter wiederum dienten der Künstlerin als Grundstruktur, die sie mit Ton gefüllt, und gebrannt hat. Im Prozess des Brennens der Materialien hat sich das Metall verformt und gebogen, während die Tonmasse sich zu kleinen Keramikquadern verfestigt hat. Eine der Platten der Arbeit „Neapel Street“ bildet die Auflage eines tischartigen Gestells, die andere ist am Boden platziert. Die stückweise aus den Gittern heraus fallenden Keramikteile beschreiben mit ihrer Trennung von dem vorgegebenen Raster sukzessive den Boden des Galerieraums, wie auch einen Prozess, der über das Gestalten eines Moments auch jenen eines ungesteuerten, doch mit Pausen versehenen Fortschreitens benennt.
Der Bruch zwischen und die Verbindung von Zuständen oder Raumsituationen überträgt Katinka Bock physisch in einer Installation, die den ersten mit dem zweiten Ausstellungsraum konkret verbindet: Ein ansteigender Bogen aus Metall durchdringt die Wand, wölbt sich im Gang und mündet in seinem Verlauf im zweiten Ausstellungsraum in einen Sandsteinblock, auf welchen ein Film über den Versuch der Konstruktion einer Brücke projiziert ist. In ähnlicher Weise konkretisiert ein von Bock in den Flur eingesetztes Gitter die Verknüpfung von unterschiedlichen Raummomenten. Das Gitter ist mit einem Scharnier am Türdurchbruch vom ersten Ausstellungsraum in den Gang hinein montiert und an der anderen Seite, die in der Mitte des Ganges endet, mit einem Metallstab verlängert, an dessen Ende ein Bleistift auf den Boden der Galerie trifft. Mit jeder Bewegung des Gitters – der Entscheidung des Galeriebesuchers, den Raumdurchgang zu betreten oder ihn durch eine andere, durch das Gitter verstellte Tür zu verlassen – zeichnet die Miene des Stiftes zirkelartige Linien auf den Boden. Die Schraffur verbildlicht zum einen die Entscheidung für oder gegen eine Raumsituation, die in der Bewegung des Gitters als Übertrag auf dem Boden festgehalten wird. Sie ist aber auch sinnbildlich als Figuration der zirkelförmigen Stadtplanung der Stadt Karlsruhe zu lesen, die sich abstrahiert in der allmählich entstehenden, radialen Bodenzeichnung spiegelt.

Katinka Bock erzeugt im Hinterlegen und Hervorheben von Details abstrakte Landschaften im Gefüge ihrer Ausstellungen. Die Arbeit „Himmel und Meer“ referiert auf außerhalb des Raumes liegende, landschaftliche Beschreibungen, lässt diese aber auch gleichnishaft durch Materialspuren, Bewegungs-verläufe oder den subtilen Einsatz von Farbe zu solchen im Galerieraum werden. Sie besteht aus drei quadratischen Tonplatten, die in einer Ecke des zweiten Galerieraumes zusammen kommen und mit ihrer Gestalt eine Raumecke (nach)bilden. Eine der ungebrannten Tonplatten ist – bedingt durch die schwere und brüchige Konsistenz des Materials – wellenartig heruntergeklappt: ganz entgegen jener Platten, die Halt und Form an den Wänden gefunden haben. Gelingen und Scheitern, sowie die geplante Konstruktion und der unabsehbare Aufbruch dessen werden hier und in Gegenüberstellung zu einer gleichartig ausgeführten Arbeit im ersten Ausstellungsraum metaphorisch formuliert. Oft markiert die Künstlerin mit ihren Arbeiten Leerstellen, die sie durch minimale, konkrete Eingriffe konturiert, und durch den Blick und die Assoziation des Betrachters zu einer erzählenden Beschreibung gerinnen lässt. „Die blaue Stunde“, eine blaue Aquarellzeichnung, die Katinka Bock entsprechend dem Maß des Oberlichts im zweiten Galerieraum ausgeführt und auf der Unterkante der Fensteraussparung platziert hat, hinter¬lässt einen blauen Schimmer an der oberen Wandfläche des Fensterschlitzes – und damit eine Gegen¬stimme zum außen sichtbaren Himmel.

Die Bodenarbeit „Zentralplatz“ bekleidet den hinteren Ausstellungsraum unserer Galerie. Eine Fülle an rechteckigen und quaderförmigen Materialstücken aus (Sand)Stein, Holz, Metall und anderen natürliche Materialien, die Katinka Bock im städtischen Raum gefunden hat, bilden hier als radialer, in Richtung der hinteren Raumkante ansteigender Formverlauf, eine Linienführung, die sich in ihrer Konstruktion am Mittelpunkt der Galerie ausrichtet. Die Bezugnahme und Begegnung von Gegenständen, Situationen und Räumen findet hierin, wie auch in der Arbeit „Trio“ Ausdruck: Die beiden im vorderen Ausstellungsraum an einer Eckenkante angelehnten, tropfenartigen Tonobjekte bestanden ursprünglich als aneinander gelehntes Trio, das die Künstlerin während einer Performance in Belgien – noch in ungebranntem Zu¬stand – einer Situation im öffentlichen Raum, und damit sich selbst überließ. Mit dem Zerbrechen des dritten Teils ist auch eine autonome Verortung der zwei verbliebenen Objekte nicht mehr möglich, deren Positionsbestimmung hier nun – in gebranntem Zustand des Materials – an einen konkreten Ort, doch ebenso auch an eine temporäre Situation gebunden ist.

Christina Irrgang