(De) Es hat sich etwas verändert, denke ich, wenn ich die Bilder dieser Ausstellung betrachte. Schon lange sehe ich Armin Boehms Bilder und somit auch die Veränderungen seines Malstils und der Inhalte. Häufig habe ich bereits den Entstehungsprozess beobachtet und weiß, was ihn jeweils inspirierte. Ich habe einen anderen Zugang zu ihm als Künstler, denn er ist mein Bruder.
Für diese Ausstellung möchte ich versuchen, meine Gedanken zu ihm und den aktuellen Werken zu teilen. Wenn ich an meinen Bruder denke, dann sehe ich ihn telefonieren, stets im Austausch mit den Menschen, die ihm wichtig sind. Selten trifft man ihn ohne Kopfhörer im Ohr oder Handy in der Hand. Er telefoniert, liest Zeitungen und Bücher, hört Musik, Nachrichten, Podcasts oder verfolgt Social-Media-Kanäle. Er will den Zeitgeist hellwach miterleben. Menschen, die sagen „so bin ich“ oder „so ist das eben“, versteht er nicht. Veränderung und Weiterentwicklung bedeuten für ihn den Inhalt des Lebens. Wenn ihn etwas begeistert, dann lässt es ihn nicht mehr los, er lässt sich mitreißen und taucht komplett ein. Sei es ein Sport, Psychologie, der Gossip der Stadt oder persönliche Themen, die ihn bewegen. Gerade weil er so neugierig ist, übermannt ihn die Informationsflut teilweise nahezu. Ich weiß, dass er oft nicht einschlafen kann, aber in diesem Zustand zwischen Schlafen und Wachen auch neue Ideen findet. Bis zu einem gewissen Grad geht es uns allen nicht anders. Die Fülle der Informationen, mit denen wir konfrontiert werden, lassen unseren Geist auf Hochtouren laufen. Ruhe zu finden wird immer schwerer, beinahe Luxus. Wir müssen immerzu aussieben, was wichtig ist und versuchen, den Rest zu vergessen. Mein Bruder tut das auch, aber sein Sieb ist die Leinwand.
In den letzten Jahren spiegelte sich diese zunehmende Verdichtung in seinen Bildern wider. Es hat sozusagen geknallt dort. So wie auch in der Welt um uns herum im letzten Jahrzehnt. Irgendwie Chaos. Ich fühlte mich teilweise fast erschlagen, wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen soll. Szenen, die auch Angst machten. Stressmodus. Orientierungslosigkeit. Die Politik, das sich rasend schnell verändernde Leben, die globalisierte Welt, die immer präsenteren Medien. Die Verfluchung des Individuellen und die gleichzeitige Aufforderung bitte doch individuell zu sein, um sich von der Masse abzuheben. Jedoch auch Spirituelles und viele sehr persönliche Themen erreichten mich, allerdings in ähnlich überschwemmender Weise.
Die Bilder dieser Ausstellung zeigen nun viel mehr pastellige Farben, ruhige Szenen, deutlich weniger Personen und Trubel. Es tauchen zwar immer wieder mal altbekannte Elemente mit Collagen auf - diesmal jedoch mit intensiven, weicheren Farben.
Aber etwas ist anders. Als hätten die Inhalte ihren Aggregatszustand gewechselt. Irgendwie ist Ruhe eingekehrt. Ich erkenne auch die alten Themen, aber der Blickwinkel hat sich verändert. Es scheint, als würde mein Bruder den Kopf nicht mehr ganz so tief in den reißenden Fluss der Zeit/der Informationen/des Rauschens halten, sondern die Inhalte mit mehr Abstand betrachten. Ich stelle mir vor, er säße nun am Ufer, hielte weiterhin die Füße in diesen unbändigen Strom, aber mache einfach mal die Augen zu, um zu sehen, was sich dort zeigt. Und irgendwie tut das auch mir gut. Ich kann das Gefühl von Ruhe und Raum für mich spüren.
Text: Anne Catrin Boehm