(De) Dieses Jahr eröffnen wir zu den Kunsttagen Basel eine Einzelausstellung mit Werken der niederländischen Künstlerin Jacqueline de Jong (1939–2024), die leider kürzlich im Alter von 85 Jahren verstorben ist. Während ihrer mehr als sechs Jahrzehnte umspannenden Karriere hat sich de Jong mit der Gewalt, dem Humor, der Erotik und der Banalität des Menschseins auseinandergesetzt. Bekannt ist sie vor allem für ihre Malerei, die formal vom abstrakten Expressionismus über die Neue Figuration bis zur Pop Art reicht.
De Jong wurde 1939 als Kind jüdischer Kunstsammler im niederländischen Enschede geboren. Während des Kriegs floh sie mit ihrer Familie in die Schweiz. Als sie kurz nach Kriegsende in die Heimat zurückkehrte, musste de Jong ihre Muttersprache neu lernen. So wie sich de Jong bereits in jungen Jahren an neue Kontexte anpasste und Sprachen lernte – fünf sprach sie später fließend – so wechselte sie auch zwischen Medien und Stilen mit einer nonchalanten Selbstverständlichkeit. Ihre Themen eignete sie sich aus der Popkultur, Unterhaltung und der politischen Berichterstattung – wie zum Golfkrieg – an, und sie nahm offenkundig Bezug auf die Werke anderer Künstler*innen, wie Francisco de Goya, R.B. Kitaj oder Francis Bacon.
Die Kuratorin Alison M. Gingeras bezeichnete de Jongs künstlerische Formwandlung als „fortwährende Migration als Situation“ – eine Neigung, mühelos Grenzen zu überschreiten und lustvoll neue Perspektiven einzunehmen. Auch der Maßstab ihrer Werke variiert, von kleinen Diptychen und handgeschriebenen Tagebüchern bis hin zu monumentalen Leinwänden, in denen eine absurde, oft wilde und sinnliche Welt herrscht, bevölkert von menschlichen, tierähnlichen und monstergleichen Wesen.
De Jong entwarf auch Protestplakate für die 68er-Revolten in Paris, fertigte Künstler*innenbücher, Skulpturen und skulpturähnliche Gemälde, wie ihre Diptychen aus den 70er Jahren, die wie Koffer zusammengeklappt und auf Reisen mitgenommen werden können. Später integrierte sie die ins Monströse gesteigerte Form der Kartoffel nicht nur in ihre Bilder, sondern entwarf mit den getrockneten Knollen aus ihrem Garten auch Schmuck und integrierte Fotografien und Pflanzenteile in Mixed-Media-Arbeiten.
Auch de Jongs unklassischer Ausbildungsweg beweist ihre Fähigkeit, sich auf Neues einzulassen: Sie studierte nicht Kunst, sondern Schauspiel, Kunstgeschichte und Französisch, lebte in Paris – wo sie bei Christian Dior und später als Assistentin bei dem Cobra-Maler Karel Appel arbeitete – und in London, und dann war sie auch noch eine Weile im Amsterdamer Stedelijk Museum angestellt.
Schon mit 20 traf sie Asger Jorn, einen Künstler, der die Cobra-Bewegung mitbegründete. Während der romantischen Beziehung lernte sie andere Avantgardisten kennen, darunter Guy Debord, Gründungsmitglied der Situationistischen Internationalen, einer linken französischen Gruppe, die sich gegen die Bilderflut der bürgerlichen Massenmedien richtete. Als Debord 1962 alle bildenden Künstler*innen ausschloss, konterte de Jong, indem sie von ihrer Pariser Wohnung aus die englischsprachige Zeitschrift The Situationist Times ins Leben rief. Jede der sechs Ausgaben widmete sie einem Motiv, das mit dem situationistischen Thema des „dérive“ (Abdriften) zusammenhängt: ein Labyrinth, ein Knoten, ein Ring usw. Diese „Topologien“ sind alternative Formen des Wissens: Systeme, die nicht im Bereich des Logischen, sondern in dem der Paradoxien, Missverständnisse und Widersprüche funktionieren.
Als de Jong die Bewegung der Situationistischen Internationalen in einem Brief von 1964 beschrieb, nannte sie „détournement” (Verzerrung), „dérive” (Verirren) und „modification” (Veränderung) als ihre wichtigsten Werkzeuge. Bis zuletzt prägten diese Verfahren auch ihren eigenen künstlerischen Ansatz: Mühelos kehrte sie in ihrer Malerei das Erotische des Billard-Spiels hervor, sah das Humoreske in Kriminalgeschichten und überzog verschrumpelte Kartoffeln mit wertvollem Gold. Auch dass ihrem Werk erst spät breitere Anerkennung zuteilwurde, wusste sich de Jong zunutze zu machen: „Meine Funktion als ‚Undercover‘ in der Kunst besteht darin, alle universellen Erfahrungen zu entdecken und nach meinem Geschmack zu verändern.“
Jacqueline de Jong (1939–2024) lebte und arbeitete zuletzt in Amsterdam, Niederlande und in Bourbonnais, Frankreich. Im November 2024 wird das NSU Art Museum Fort Lauderdale die erste Retrospektive von de Jongs Werk in den USA präsentieren. Zu den jüngsten Einzelausstellungen in Museen gehören The Ultimate Kiss, im WIELS, Brüssel (2021), die auch im MOSTYN, Wales (2021/22) und im Kunstmuseum Ravensburg (2022) zu sehen war; Pinball Wizard: The Work and Life of Jacqueline de Jong, Stedelijk Museum, Amsterdam (2019) und Jacqueline de Jong, Les Abattoirs, Toulouse (2018/19). Gruppenausstellungen fanden zuletzt statt im Centre Pompidou, Paris (2024); im Rijksmusem, Amsterdam (2024) und im Stedelijk Museum, Amsterdam (2022/23). Ihr Werk ist Teil von internationalen Sammlungen, wie des Centre Pompidou, Paris; Stedelijk Museum, Amsterdam; des Moderna Museet, Stockholm; des Cobra Museum for Modern Art, Amstelveen; des Frans Hals Museums, Haarlem; der Elie Khouri Art Foundation, Dubai; des Kunstmuseum Göteborg; des Lenbachhaus, München sowie des Musée d’Art Moderne de Paris.