Verlassen wir, wie einst die Wissenschaftler bei Georges Méliès, unsere Kapseln (Lunar Roving Vehicles, schnittigen Space Convertibles, was auch immer) und machen es uns irgendwo in der bizarren Landschaft bequem, um den Anblick der aufgehenden Erde zu bewundern – oder auch ihren Untergang. Den Umständen widersprechend wirkt bislang alles recht friedlich. Unter meterdickem Mondstaub ist die Oberfläche zerklüftet, wie der Asphalt on Temple. Da KC Houseman kaum Recht haben kann mit all dem Alien-Tech, einer perfekt konzipierten Megastruktur im Innern des Mondes, wird es unter Tage kaum besser aussehen.

Am Rande des Mare Crisium schlummert das schroffe Gelände jedoch gut zugedeckt im pulverisierten Gestein, das beim permanenten Bombardement durch Meteoriten entstand. Glaubt man der Moonshot-Theorie, könnte das Material bald dabei helfen, die merklich sich erwärmende Erde zu retten. Um ein schwebendes Sonnenschutzschild aus Mondstaub zu erzeugen, müssten Millionen Tonnen Gesteinspartikel an eine Stelle im Weltraum geschleudert werden, die etwa eine Million Kilometer von der Welt entfernt ist. Es ist nur eins von vielen Konzepten, die im Sinn des Katastrophenschutzes den extraterrestrischen Extraktivismus vorantreiben. Im Mondgestein werden große Vorkommen von Helium-3 vermutet. Noch steht der sauberen Theorie einer Kernfusion ohne verstrahlten Atommüll die schmutzige Realität gegenüber. Viel zu teuer, das Material zur Erde zu bringen, so bleiben Visionen vom lunaren Bergbau vorerst vage, wird die Space Race Destination von gestern nicht über Nacht der Ruhrpott von morgen. Erste Minen werden erst ab 2050 erwartet.

Genießen wir bis dahin die Ruhe, den Blick. Ein Autor der Neue Zürcher Zeitung sieht im Mond „Bilder innerer Welten. Projektionen. Missverständnisse“ und hebt die ontologische Unbestimmtheit seiner Himmelsmechaniken hervor – eine Unbestimmtheit, die der Mond mit der Malerei gemein hat. Sind dies Kartierungen imaginärer Krater? Blown up Picture Postcards from L.A., die den Finish Fetish mit ungeschliffenem Strichwerk konterkarieren und durch die Fülle an Science-Fiction-Konnotationen doch irgendwie kalifornisch anmuten? Spätestens seit der missglückten Mission von Pioneer 0 evoziert jedes Mondbild einen gewissen, wenn auch mitunter enttäuschten Eroberungsgeist; im Weltraum ist er mindestens so präsent, wie im weltlichen Westen. Im milchigen Mondschein wirkt jedoch jede noch so vereinnahmende, energische Geste ein paar Grade weicher. Das künstlerische Material ist auch hier beladen von Konventionen, schwerem Gepäck. Doch bei verminderter Gravitation sieht das Sondieren jedweden Grundes leichter als aus als gewöhnlich, beinahe sanft.

„Der Mond ist der milde, doch entschiedene Widerspruch gegen die Sonne“ hält Hans Blumenberg in seinem Essay „Die Vollständigkeit der Sterne“ fest. Der Vollständigkeit seiner Aussage halber bleibt zu ergänzen, dass er die Sonne als nackte Wahrheit, den Mond als Sinnbild reflexiver, vom harten Tag verschonter Gedanken verstand. Wie auch die dunkle Seite des Mondes je nach Blickwinkel vielmehr ihr Gegenteil ist, liegen die Dinge in Wahrheit wohl komplizierter, so lässt sich manch finsterer Fleck auf der Leinwand als invertiertes Irrlicht lesen. Sind diese Bilder ganz gemaltes Zerwürfnis, kosmischer Detritus, Vorahnungen einer künftigen Milchstraßenschlacht? (Unten am Griffith Observatorium fragt ein kleines Kind, wohin diese Straße eigentlich führt, nach der Mars Inc. einen Schokoriegel benannt hat und die, von der Erde betrachtet, wie ein quer übers Firmament gesetzter milchiger Pinselstrich aussieht: „To the moon and pep?“) Oder haben wir es mit weltlichen dirtbike dreamscapes zu tun, die völlig aufgewühlt sind, auf ihre eigene Weise idyllisch?

Obschon die Zukunft sich derzeit vor allem als Zeit-Raum drohender Zusammenbrüche darstellt, möchte man nicht gleich den Kopf in den Sand stecken, sondern die Füße im Mondstaub vergraben, als sei man am Strand. Den welligen Wassermassen der Weltmeere, deren Gezeiten mondgemacht sind, setzt das Mare Crisum (zu deutsch „Meer der Krisen“) markante Gesteinsstrukturen entgegen, soweit das Auge reicht. Sehen kann man auf dem Mond besser als auf der Erde, denn es gibt keine atmosphärische Trübung. Und Sichtbarkeit verheißt Evidenz. So lassen auch diese Bilder empirische Erkenntnisse zu. Wie die genaue Beobachtung zeigt wurden die furchigen Strukturen des Geländes mitunter rücksichtslos überfahren, bei übertriebener Geschwindigkeit mehrfach durchkreuzt, von Moonbikes und Rovern, alternativen Routen, absurden Plänen.

In den 1960ern wies der Planetenforscher Eugene Shoemaker nach, dass die strahlenförmigen Linien in der Landschaft durch berstende Krater entstehen – immer dann, wenn ein Objekt ausreichender Größe rasant auf die Mondkruste prallt. Seither gelten die sogenannten „Ejecta Rays“ – vulkanische Auswürfe, die sich im freien Flug formieren – als Resultat ballistischer Sedimentation. Die Ballistik ist generell ein großes Thema, für Jules Vernes Baltimore Gun Club ebenso wie für die Wissenschaftler der Ames Vertical Gun Range, wo Hochgeschwindigkeitseinschläge von Himmelskörpern in kleinem Maßstab simuliert werden. Im weltlichen Kontext begegnet uns die „Lehre von den geworfenen Körpern“ sinnbildlich bei Heidegger, konkreter in der Kriminalistik oder im Straßenverkehr. Shoemaker kam bei einem Autounfall ums Leben, als er einen irdischen Einschlagskrater besuchte. Nach seinem Tod wurde ein Teil seiner Asche mit der Lunar Prospector-Mission zum Mond gebracht und dort vermutlich feierlich in die von ihm erforschten Strahlensysteme gestreut.

Natürlich hat es auf dem Mond schon bildstärkere Szenen gegeben; über Jahrhunderte hat er als verlässliches Setting hergehalten, sich von Hunden anheulen lassen, hat zig kunst- und kulturhistorische Motive versilbert. Aufgrund seiner reichen, romantisch gefärbten Geschichte wünschten die Futuristen dem Mondschein den Tod. In Roland Emmerichs Moonfall gilt das Gegenteil, hier droht der Mond, auf die Erde zu fallen und entpuppt sich dabei als einzige Möglichkeit, die Menschheit zu retten. „The moon must survive. Everything depends on it.“