(De) “The Corner of Cultivation
If not even this leg is like my other leg, but
different. With hidden sensations, tensions and abilities
How could I ever know about another ones
arm?
I’ve known every thing until some thing new
was shown
Accepting to never knowing.”
Jan Zöller ist ein genauer Beobachter seiner Umwelt und vor allem jener sozialen Strukturen, die unser gesellschaftliches Miteinander bestimmen. Seine Arbeiten und vor allem auch seine Ausstellungen sind keine in sich geschlossenen Gebilde, die sich den Betrachterinnen und Betrachter als hermetische Einheit präsentieren. Viel eher zielen sie, mal mehr, mal weniger offensichtlich, auf deren Aktivierung und kalkulieren sie als elementaren Bestandteil mit ein.
So auch die Ausstellung Visitors in der Galerie Meyer Riegger. Deutlich wird dies nicht nur durch den Ausstellungstitel, der die Besucherinnen und Besucher ganz klar ins Zentrum rückt, sondern auch durch Betreten der Ausstellung. Über den Bildern, die Jan Zöllers charakteristische oberkörperlose Hosenbeine zeigen – jene archaisch wirkenden, geschlechtslosen, ein Eigenleben führenden Wesen, die zum festen Bildpersonal des Künstlers gehören – sind Spiegel angebracht. Als Betrachterin oder Betrachter vervollständigt man die Unterkörper, während man gleichzeitig sein eigenes Gesicht im Spiegel erblickt. Die Beine werden folglich zu den eigenen und man selbst zu einem sich im ständigen Wandel befindlichem (Ab)bild. Die Werke eröffnen so neue, ungewohnte Blickwinkel und Perspektiven, sind mal Projektionsflächen des eigenen Ichs und ein anderes Mal vielleicht sogar auch „Werkzeug“, um einen verhohlenen Blick auf das Verhalten der Anderen zu werfen. Das hüfthohe Loch in der Wand desselben Raums kehrt diese Logik um. Die Anwesenden können sich gegenseitig beobachten, wie sie zu körperlosen Hosenbeinen werden, die durch die Galerie streifen.
Gewollt oder ungewollt werden die Besucherinnen und Besucher so zu Statisten der Ausstellung oder wahlweise zu Hauptdarstellern. Zöller initiiert durch seine Interventionen, dass sie nicht nur wie gewohnt betrachten, sondern sich im wahrsten Sinne des Wortes in den Bildern widerspiegeln, dass sie beobachten bzw. beobachtet werden und sich dieser Mechanismen auch bewusstwerden. Jan Zöller zwingt ihnen somit auch ein Stück seiner eigenen Position auf und stellt zwischen seiner künstlerischen Praxis, dem Medium Ausstellung und den Besucherinnen und Besuchern ein komplexes Netzwerk mit zahlreichen Bezügen und Wechselwirkungen her.
Aus einem anderen Raum ertönen währenddessen kontinuierlich verschiedene Stimmen, die nacheinander das immer selbe Gedicht aufsagen: „If not even this leg is like my other leg (…) How could I know about another ones arm (…) Accepting to never knowing.” Die Ausstellung wirkt mehr und mehr wie eine Art Plädoyer. Das kommt nicht von ungefähr, denn in seiner künstlerischen Praxis geht es Jan Zöller einerseits um kollektive Erfahrungen, andererseits aber auch um das Individuum, das durch seine Anwesenheit und sein Verhalten diese kollektiven Erfahrungen mitgestaltet und bestimmt. Die Position des Einzelnen im Verhältnis zur oder innerhalb der Gemeinschaft wird somit immer wieder ins Zentrum gerückt. Sei es durch den Akt, den Bildern Spiegel „aufzusetzen“, das Loch in der Wand, durch das man beobachtet wird bzw. beobachten kann oder eben durch das sich ständig wiederholende Gedicht, das einen selbst gleichermaßen anspricht, wie es die Aufmerksamkeit auf den oder die anderen lenkt. Insofern schließt die Ausstellung Visitors an Fragen an, die sich durch Zöllers gesamte Praxis ziehen und auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder bearbeitet werden: Wie entstehen soziale Strukturen, Codes und Regeln, deren Dynamiken bestimmte Verhaltensmuster hervorrufen, die das subjektive und kollektive Verhalten lenken. Und wie können diese Strukturen, Codes und Regeln in einer gemeinschaftlichen oder sogar auch nur in einer individuellen Anstrengung verändert oder ganz über Bord geworfen werden? Und wie werden festgefahrene Muster zersetzt, um Neues zu schaffen? Die Antworten auf diese Fragen findet man in den Bildern, die in einem weiteren Ausstellungsraum zu sehen sind.
Bei genauer Betrachtung wird nämlich deutlich, dass sich in Zöllers Arbeiten die Gesellschaft und ihr soziales Miteinander als ein Netzwerk darstellen, in dem alles verbunden ist. Ein Motiv, das in letzter Zeit vermehrt in Zöllers Leinwänden auftaucht, verbildlicht diese Zusammengehörigkeit oder wenn man so will, diese Abhängigkeit ganz besonders – die Schnürsenkel. In Eternal Moment (2022) oder Wisdom Tree (2022) führen sie ein Eigenleben und verbinden alle Elemente miteinander. In They are the reason you can’t sleep at night (2022) wird diese Zusammengehörigkeit noch einmal anders hervorgehoben. Nicht nur durch die Schnürsenkel, sondern auch durch die Anordnung der drei Figuren in der Bildmitte, die sich offensichtlich in einem sensiblen Gleichgewicht befinden. Sie stützen sich gegenseitig und halten sich so in der Balance. Bricht eine der Figuren weg, droht alles in sich zusammenzustürzen.
Mit unterschiedlichen Strategien verändert Zöller so in Visitors unsere Sehgewohnheiten. Er aktiviert uns Betrachterinnen und Betrachter und bietet mit seinen Bildern Projektionsflächen an, um unser individuelles und kollektives Verhalten zu reflektieren. Jan Zöller leistet so seinen Beitrag, eine neue gemeinschaftliche Erfahrung herbeizuführen, die mit Gewohnheiten und eingefahrenen Strukturen bricht, um etwas Neues entstehen zu lassen.
Text: Hannah Eckstein