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Jan Zöller Kaputte Fenster

15.07.22 – 18.08.22 Kunstverein Heppenheim

Kaputte Fenster ist der Titel von Jan Zöllers Ausstellung im Kunstverein Heppenheim. Mit dieser Information im Hinterkopf, erschrickt man vielleicht nicht allzu sehr, wenn man das Gebäude, in dem der Kunstverein beheimatet ist, mit seiner großen Fensterfront erreicht. Denn die Scheiben, die im Normalfall den Blick auf die Ausstellungen im Inneren freigeben, sind zerbrochen und liegen in Scherben. Ist dort vielleicht Kunst zu sehen, die die Gemüter erhitzt und jemanden zum Vandalieren veranlasst hat? Eigentlich ungewöhnlich für die beschauliche Kleinstadt, in der alles in bester Ordnung zu sein scheint. Und bei genauer Betrachtung wird dann auch deutlich, dass man einer optischen Täuschung auferlegen ist und die Fenster mit Folien beklebt sind, die das Zerbrochene lediglich suggerieren.
Ausgangspunkt für die Ausstellung, die mit diesem installativen Eingriff bereits vor dem Betreten der Räumlichkeiten beginnt, ist die Broken-Windows-Theorie. Die Theorie der US-amerikanischen Sozialforscher James Q. Wilson und George L. Kelling beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen dem Verfall von Orten, Stadtteilen oder ganzen Städten und dem Aufkommen von Kriminalität und sozialem Abstieg. Sie besagt, dass je mehr Verfall an einem bestimmten Ort herrscht, desto mehr steigt auch die Kriminalität bzw. die Delinquenz bei den Bewohnern, also die Bereitschaft rechtliche Grenzen zu überschreiten. Zerbrochene Fenster, aber auch Müll oder Vandalismus werden als Zeichen mangelnder sozialer und gesellschaftlicher Kontrolle gedeutet. Werden die Fenster nicht wieder in Stand gesetzt und etwas gegen den Müll und Vandalismus getan, wird ein Kreislauf in Gang gesetzt, der weitere Beschädigungen und kriminelle Handlungen begünstigt – der öffentliche Raum wird zum Niemandsland und soziale und gesellschaftliche Strukturen lösen sich auf. Wird eine zerbrochene Fensterscheibe nicht schnell repariert, so Wilson und Kelling, sind im Haus bald alle Scheiben zerbrochen.

All images: Jan Zöller: Kaputte Fenster. Installation view: Kunstverein Heppenheim e.V., photo: Lukas Giesler

Was hat das nun aber alles mit dem Kunstverein Heppenheim und dem Ort, an dem er sich befindet, zu tun? Das ehemalige Ladenlokal wäre wohl ohne den Kunstverein ebenfalls dem Verfall preisgegeben. Wie in vielen anderen deutschen Kleinstädten gibt es auch in Heppenheim immer mehr Leerstand und die Innenstädte haben es schwer, ihre Stellung als ökonomische, gesellschaftliche und soziale Räume zu halten. Mit seiner Intervention möchte Zöller auf die Bedeutung von kulturellen Einrichtungen wie dem Kunstverein Heppenheim aufmerksam machen, die mit Hilfe der Kunst Farbe, Gemeinschaft und vor allem Hoffnung in die Tristesse von Kleinstädten bringen. Durch die zerbrochenen Fensterscheiben verändert sich zudem der Einblick in den Kunstverein. Kann man sich im Normalfall die Ausstellung auch von außen anschauen, ist man nun gezwungen hineinzukommen, um einen ungetrübten Blick auf die Bilder im Inneren zu erhalten.
Hinzu kommt noch, dass das Motiv des Fensters in den vergangenen Jahren immer wieder in unterschiedlichen Formen in den Werken und Ausstellungen von Jan Zöller in Erscheinung getreten ist. Wenn das Fenster in Zöllers Arbeiten als klassisches kunsthistorisches Motiv nachklingt, welches die Frage nach dem Innen und Außen stellt oder das Bild als Fenster zur Welt ins Zentrum stellt, spiegelt sich im zerbrochenen Fenster ein Moment des Widerstands gegen gesellschaftliche Konventionen wider – ein Augenblick trotziger Adoleszenz. Obwohl es ein Akt der Zerstörung ist, lassen sich von diesem scheinbar banalen Akt doch zahlreiche tiefgründigere Erkenntnisse ableiten.

Hannah Eckstein
Künstlerische Leiterin, Kunstverein Friedrichshafen

Kaputte Fenster, installation view
Jan Zöller Kaputte Fenster, installation view 2022

photo: Lukas Giesler,

Kunstverein Heppenheim
Kaputte Fenster

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