taz
10. 10. 2024
berlin kultur
S. 24
Hilka Dirks
Wie rundgelutschte Bonbons drücken sich die vierundzwanzig kleinen Malereien von Caroline Bachmann an den Wänden der Wilmersdorfer Galerie Meyer Riegger entlang, als seien sie auf eine unsichtbare Schnur gefädelt. Nur sechzig Zentimeter misst ihr Durchmesser. Nicht sehr groß für die hohen weißen Räume und doch können die Gemälde problemlos der Leere standhalten, ja saugen sie die Aufmerksamkeit der Betrachtenden förmlich an, ein bisschen wie Zielscheiben, stoisch wartend auf die unsichtbaren Pfeile interessierter Blicke.
Der einheitliche rote, gemalte Rahmen verstärkt diesen Eindruck. Nähert man sich den Bildern, erkennt man die Vielfarbigkeit des Korallen-Farbtons, durchsetzt mit blauem Pigment, gewischt, getupft, vibrierend, „anthroposophisch“, flüstert eine Besucherin, in jedem Fall so ganz und gar nicht monochrom und von bezaubernd malerischer Qualität. In der Mitte des Rahmens sitzen Landschaftsmotive: ein Fluss – der Rhein, namensgebend für die Ausstellung der Schweizer Malerin „Le Rhin“ – dazu Himmel, Ufer, meist Bäume, die Sonne, der Mond, Wolken, vereinzelt auch Sterne. Irgendwo zwischen Symbolismus und Surrealismus, japanischen Holzschnitten, konkreten Druckgrafiken, Plein-Air und klassischen Comics liegt das ästhetische Geheimnis Caroline Bachmanns versteckt.
Von der Quelle zur Meeresmündung reiste die Künstlerin den Fluss entlang, in den Alpen zu Fuß, von Basel bis Rotterdam mit dem Schiff, folgte sie dem Lauf des Gewässers. Flüsse faszinierten sie seit Langem, sagt Bachmann. Sie folgte schon dem portugiesischen Douro. Es sei die Faszination für die Wege, die sich das Wasser bahnt, für die auslaufenden Ränder, die Individualität des Flussbettes, so eigen wie eine Person, die sich immer verändert und doch dieselbe bleibt, für das scheinbar unendliche Sprudeln der Quelle, die fließt und fließt mit solcher Kraft, dass sie Menschen transportieren kann – in jedem erdenklichen Sinn.
Wenn die 1963 in Lausanne geborene Caroline Bachmann in ihrem Studio über ihre Inspirationen spricht, dann glitzern ihre Augen. Mit raumeinnehmenden Gesten unterstreicht sie das Gesagte, ihre Stimme mit dem starken, charmanten französischen Akzent kann jederzeit ins Lachen kippen. Die Malerin lebt und arbeitet in Berlin und dem schweizerischen Cully, malt stets mehrere Bilder gleichzeitig, auch wegen der langen Trocknungszeiten der Ölfarbe, die sie in unzähligen Schichten auf die Leinwände aufbringt.
Mitten im Trouble Friedrichshains liegt ihr Berliner Atelier. Eine schwere Eingangstür, ein Hinterhof, eine helle Remise und der Lärm von jungen Menschen, Touristen, Passanten verschwindet. Reduziert ist der Raum, geschmackvoll spärlich eingerichtet, eine kleine Küchenzeile, ein paar Sitzgelegenheiten, die Farben ordentlich sortiert. Bilder in verschiedenen Stadien der Vollendung hängen in Abständen an den Wänden. Kein Malgrund ist hier rund, die zirkuläre Form des auf Holz aufgebrachten Leinens war für den Rhein vorbehalten. Sie alle zeigen Landschaften, sie alle sind gerahmt von monochromen Farbkanten, mal schmaler, mal breiter, die Innenkanten teils organisch, eigensinnig, wie die ausufernden Ränder der von Bachmann geliebten Gewässer, die hierfür gewählten Farben sehr intensiv, knallig, zeitgenössisch und doch irgendwie gedämpft. Bachmanns Bilder verändern sich in der Betrachtung, je länger man vor ihnen steht, als würde das Auge die Farbe anders begreifen, wenn es sich nur erst an sie gewöhnt hat.
Was sind das für Rahmen? Wo kommen sie her? Wieso sind sie da? Caroline Bachmann lacht: „Ich komme aus der Schweiz, wo die Abstraktion eine lange Tradition hat. Ich wollte jedoch nicht immer wieder das gleiche ästhetische Statement wiederholen und mich daher mit der Figuration konfrontieren. Der Rahmen erlaubt mir etwas, das überhaupt nicht natürlich ist, denn Natürlichkeit interessiert mich nicht. Er ist künstlich, du kannst mit den Farben spielen. Die Ränder sind Referenzen meiner malerischen Kultur.“
Die Malereien sind ein Abbild der Realität und doch vielleicht ein Symbol, ein Traum, ein Zufall
Bachmanns malerische Kultur scheint auch durchaus geprägt durch ihr ursprüngliches Grafikstudium, ihr starkes Interesse an Kunst und Geschichte. Ihre Figuration bleibt abstrakt, ist dabei gleichzeitig durchaus konzeptionell geprägt. Das malerische Werk der Künstlerin teilt sich in klassische Sujets, da sind Landschaft, Porträt, Stillleben und die viele jahrzehntelang aufgrund ihres Formats den männlichen Malern vorbehaltene Historienmalerei. Wie der Rhein treten sie in Serien auf, so sind die Stillleben stets die Blumen, die die Künstlerin geschenkt bekommt, eine Serie von Porträts sind die weiblichen Künstlerkolleginnen Bachmanns, die Historienbilder zeigen nie Menschen, sondern Landschaft: So kringeln sich beispielsweise auf der acht Meter langen Arbeit „58 av J.-C“ zwölf rauchige Feuer in den Himmel des Juragebirges zwischen Rhein und Rhône, ein Verweis auf die brennenden Dörfer der Helvetier während des Krieges mit Julius Caesar.
Wie auch in den kleineren Landschaftsgemälden ist es das Gebirge, was da ist, was da war, auch über zweitausend Jahre zuvor. Die Berge Bachmanns sind die Berge Caesars. In Bachmanns Gemälden wohnt die Zeit, die vergangene, auf die sie verweisen, der Moment, in dem sie in der Skizze festgehalten wurden, die prozesshaft vergehenden Stunden des Malens bis zur Vollendung. Die Arbeiten sind ein Abbild der Realität und doch vielleicht ein Symbol, ein Traum, ein Zufall, wie der Genfer See, dessen Szenerie die Malerin immer und immer wieder skizzierte und in Gemälde übersetzte. Es ist der See, an dem sie lebt. Es ist jedoch auch der See, an dem Marcel Duchamp eine seiner letzten Arbeiten („Étant donnés: 1. La chute d’eau, 2. Le gaz d’éclairage“) schuf, der See, den Ferdinand Hodler immer wieder malte, auf dessen Ansicht von Chexbres aus er bezaubernd kullerige Wolken setzte, so abstrakt-grafisch in ihrer Form, die Verwandtschaft zu Bachmann ist unverkennbar.
Die Skizzen, die sie anfertigt, sind ihr Werkzeug, ihre Partitur. Im Atelier hängen sie neben den Bildern. In filigraner, kursiver Handschrift stehen Beschriftungen an Wolkenformationen: „jaune-gris“ oder „mauve“. Festgehalten sind die Landschaften, die Formationen und Verhältnisse von Bergen und Wasser, Wolken, Sonne, Mond. Es sind tatsächliche Momente, die festgehalten werden, in einem unendlichen Wechsel, ohne Startpunkt, ohne Ziel, schon Sekunden später sehen Himmel und Wasser anders aus. Bachmann malt alle ihre Arbeiten ausgehend von der Skizze, sogar die Porträts. Erfrischend unkonzeptionell sucht sie sich dann eine aus ihrer Sammlung, eine, auf die sie Lust hat, wie sie sagt. 2022 lässt sich auf einem Papierbogen mit Bergsee an der Berliner Atelierwand entziffern. Es sei dementsprechend unmöglich, sich an den Moment zu erinnern, die Skizze birgt jedoch alle Informationen für das zu erschaffende Werk.
Über Caroline Bachmanns Arbeiten zu schreiben, ist ein bisschen, wie sie zu betrachten. Sie werden dichter, komplexer, immer schwerer zu begreifen, je länger man über sie nachdenkt. Bachmann selbst spricht über Konzept, Konstruktion, über das, was unter dem Bild liegt, über Ratio und Gefühl, über Erdpigmente, Piero della Francesca und Giotto, Giorgio Morandi, ihre kindliche Liebe zu Comics, les bandes dessinées. Wie die formalen Elemente ihrer Landschaften sind die Referenzen verständlich und sichtbar und doch entsteht eine ganz eigene, eigenwillige formale Sprache in der Spannung der Verbindung. Was entsteht zwischen den Flächen? Den Referenzen? Den einzelnen Teilen des Ganzen?
Es ist ein oft aufgerufener Mythos, die Kunst hätte eine Aura, man könne spüren, was da ist und doch unsichtbar bleibt, die verdeckten Schichten, die Zeit. Betrachtet man die vierundzwanzig runden Rheinlandschaften Caroline Bachmanns, fällt es leicht, den Mythos zu glauben – und vielleicht ist dies genau alles, was man sich von der Kunst nur wünschen kann.